Neue Musik von Michael Bublé Der Gutgelaunte zeigt seine zerbrechliche Seite
Er war lange der Popstar, dem alles ein bisschen leichter zu fallen schien. Nun sagt er: Eine Zeit lang war an eine Rückkehr auf die Bühne gar nicht zu denken.

«Ich habe von der gestrigen Oscar-Verleihung etwas mitgenommen», sagt Michael Bublé beim Zoom-Interview aus London. «Es ist völlig egal, was Musiker und Schauspieler grundsätzlich denken oder welche Lebensphilosophien sie haben. Was zählt, ist, wie sie handeln, wie sie anderen Menschen helfen.»
Nur wenige Stunden nach dem Eklat um Will Smith strahlt Michael Bublé einem vom Bildschirm aus entgegen. Der kanadische Swing-Star wirkt unprätentiös und kumpelhaft, gibt für die Kamera aber gleichzeitig eine kleine Performance ab. Sein Blick ist klar, seine Sprache ist lebhaft und zeitweise derb, seine Hände flattern wie kleine Tauben am unteren Rand des Computer-Bildschirms. Live ist dieser Charmeur bestimmt eine Wucht.
Nicht nur der nette Crooner
An Bühnenerfahrung mangelt es Bublé bekanntlich nicht. Mitte der Nuller-Jahre wurde er mit einem Repertoire erfolgreich, das Frank Sinatra und Tony Bennett entlehnt war. Damit sprach Bublé ein älteres Publikum an, das auch dann noch Tonträger kaufte, als die Plattenfirmen über netzbedingte Umsatzrückgänge klagten. Heute kann Bublé auf 22 Millionen verkaufte Alben stolz sein.
Bublé hatte sich aber nicht aus markttechnischen Überlegungen heraus auf das Great American Songbook eingeschossen. Er hatte die Musik von George und Ira Gershwin, Cole Porter und Irving Berlin in jungen Jahren dank seinem Grossvater lieben gelernt. Dabei mag Bublé auch modernere Musik: Bei seinem ersten Besuch in der Schweiz 2007 sagt er in einem Interview, Stücke von Oasis, Michael Jackson und «allerlei Dutzendware aus den 80er-Jahren» auf seinen MP3-Player geladen zu haben.
«Paul McCartney hat mir während der Session nichts geschenkt: Er war herzlich, aber hart.»
Seither hat Bublé sich immer mehr vom Image des gefälligen Crooners distanziert. Auf seinem neuen Album «Higher» finden sich neben Standards («A Nightingale Sang in Berkeley Square») auch Disco-Knaller («You’re the First, the Last, My Everything») und Soul-Klassiker («Bring It on Home to Me»). «Mein Produzent ist ab meinem Eklektizismus verzweifelt», sagt Bublé mit einem spöttischen Grinsen. «Irgendwann hat er kapiert, dass es mir nicht um die einzelnen Stücke geht, sondern um die Freude, die ich mit ihnen zum Ausdruck bringen kann.»
Das Kernstück von «Higher» ist «My Valentine» aus Paul McCartneys wenig beachtetem Big-Band-Album «Kisses on the Bottom» (2012). «Paul hat mich einmal wissen lassen, dass er ‹My Valentine› gerne von mir hören würde», sagt Bublé stolz. «Ich habe ihm geschrieben, dass ich ihn dann im Studio als Co-Produzenten dabeihaben möchte. Er hat mir diese Ehre tatsächlich erwiesen. Als grosser Perfektionist hat er mir während der Session nichts, aber auch gar nichts geschenkt: Er war herzlich, aber hart.»
Wer genug Mut hat, einen Musiker vom Kaliber eines Paul McCartney um eine Zusammenarbeit anzuhauen, muss schon sehr selbstbewusst sein. Nicht umsonst hat Bublé das Image des unbeirrbaren Einzelkämpfers, den nichts aus der Ruhe bringen kann. «Es wäre schön, wenn ich wirklich so unerschütterlich wäre, wie viele Leute meinen», entgegnet Bublé. «Als mein Sohn 2018 an Leberkrebs erkrankte, war ich der Fels in der Brandung, der unsere Familie durch diese Krise gebracht hat. Aber bei Corona musste meine Frau mich zusammenkratzen, als ich mich zu zerbrechlich fühlte, um überhaupt an Live-Konzerte denken zu können.»
Auf «Higher» glaubt man ein bisschen von dieser Zerbrechlichkeit zu spüren. «Smile» von Charlie Chaplin etwa beleuchtet den klassischen Zwiespalt des professionellen Entertainers: Egal, wie schlecht es einem geht, heisst es im Songtext, weiterlächeln muss man auch dann, wenn die Welt auseinanderbricht.
Bublé hatte «Smile» ursprünglich für Captain Tom Moore eingesungen. Während der Corona-Pandemie hatte der britische Armee-Veteran Millionen englische Pfund für wohltätige Zwecke gesammelt, indem er im Garten seines Einfamilienhauses mit seinem Rollator Runden drehte. Als Moore 2021 im Alter von 100 Jahren verstarb, bat seine Familie Bublé, «Smile» für das Begräbnis einzusingen. «Ich sage meinen Kindern immer wieder, dass Captain Tom ein Superheld aus Fleisch und Blut war», so Bublé. «Er war auch im hohen Alter nicht zu müde, um sich für andere Menschen einzusetzen. Sein Engagement hat mir, der den Lockdown daheim auf dem Sofa verbracht hat, schon zu denken gegeben.»
Leere Betroffenheit ist das nicht, was Bublé hier bekundet. Bereits 2021 war er aus humanitären Gründen auf ausgedehnter Nordamerika-Tournee. «Während der Pandemie haben meine Crew und meine Band nichts verdient. Um ihre finanzielle Not zu lindern, habe ich 34 Konzerte gebucht und gespielt. Weil Techniker und Musiker unterwegs an ein striktes Sicherheitsprotokoll gebunden waren, sind wir ohne eine einzige Corona-Erkrankung durchgekommen. Jetzt können meine Leute ihre Hypotheken wieder zahlen und Windeln für ihre Babys kaufen.»
Bublé hatte natürlich auch etwas von diesem Abenteuer. Das gibt er zu: «Ich gehe nicht auf die Bühne, weil ich möglichst viel Geld einsacken will», sagt er. «Geld habe ich mehr als genug. Wenn ich vor einem Publikum stehe, geht mir der sprichwörtliche Schuss ab. Ich bin sicher nicht der Einzige, der den Kick eines Live-Konzerts während der Pandemie vermisst hat.»
Michael Bublé: «Higher», Warner.
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