
Es war alles so gut gemeint am Montag. Ein Stückchen Times Square wurde abgezäunt, New Yorks Gouverneurin Kathy Hochul sprach, Bürgermeister Eric Adams zitierte Public Enemy («Don’t believe the hype, believe in New York City»), eine Broadway-Sängerin sang Frank Sinatras Schmetterhymne «New York, New York», und so begann die neue Stadtmarketingkampagne, für die am Abend auch noch das Empire State Building ganz in Rot angestrahlt wurde.
Die Farbe stammte aus dem Herz im New-York-Logo. Das hatte sich der Designer Milton Glaser 1977 für seine Heimatstadt ausgedacht, als damals die Bürger flohen und die Touristen ausblieben, weil die Stadt buchstäblich in Trümmern lag.
Damit aber fing der Ärger am Montag an. Aus «I ❤ NY» ist «We ❤ NYC» geworden, die Typografie wurde ins digitale Zeitalter transponiert und aus dem Herz ein Emoji. Um die Reaktionen der New Yorker freundlich zusammenzufassen: Warum!?!?

Glaser hatte damals auf der Rückbank eines Taxis die drei Buchstaben und das Herz mit einer Wachsmalkreide auf einen Umschlag skizziert und so in wenigen Minuten eines der beliebtesten Markenzeichen der Welt geschaffen. Das wurde seither millionenfach auf Tassen, T-Shirts und Talmi von Reisen mitgebracht und tausendfach in alle möglichen Liebeserklärungen abgewandelt. Gibt es auch als I ❤ Berlin, Paris oder Zürich.
Ein einziges Mal wurde das Logo abgewandelt, das machte damals allerdings der Meister selbst. Gleich nach den Anschlägen des 11. September 2001 war das, als Glaser das Herz mit einem Russfleck versah und die Buchstaben mit den Worten «more than ever» ergänzte. Eine Woche nach dem Fall der Zwillingstürme wurde daraus das Titelblatt der «Daily News». Aber nicht einmal er wagte sich an Typografie oder Herz, die in den fast zweieinhalb Jahrzehnten zu so etwas wie der grafischen Seele der Stadt geworden waren.

Den Konsens der Millionen konnte es nur geben, weil in New York jeder «ich» sein durfte.
Und jetzt? Hat irgendein Spatzenhirn in der für viel Steuergeld angeheuerten Marketingagentur dem NY ein C angehängt, falls irgendjemand nicht weiss, dass es bei NY immer um die Stadt geht und nicht um das flache Land dahinter. Vor allem aber haben sich die Spatzenhirne das «We» ausgedacht, weil sie in solchen Besserwisserbüros immer glauben, dass ein «We» oder «Wir» oder «Nous» schon reicht, um das mit der Inklusion im Markenkern zu verankern.
So funktionierte das in der Stadt New York allerdings noch nie. Den Konsens der Millionen im Chaos des Molochs konnte es nur geben, weil in New York jeder «ich» sein durfte und viele irgendeinem «Wir» entflohen waren.
Das Schlimmste ist die Helvetica
Doch was die New Yorker auf die Barrikaden bringt, ist, dass ein windiger Werbegrafiker die Buchstaben in Helvetica gesetzt hat. Sicher kann man diese Schrift auf Bildschirmen besser lesen als die Buchstaben mit den muskulösen Serifen, die Milton Glaser damals aus dem American-Typewriter-Schriftsatz entwickelte. Und es stimmt natürlich, dass die New Yorker U-Bahn-Schilder in Helvetica gesetzt sind.
Aber was 1966 modern war, als Massimo Vignelli dem New Yorker Untergrund ein neues Design verpasste, ist heute das Billy-Regal der Schriftsätze, das matte Echo einer Midcentury-Modern-Nostalgie, die als Massenware nur noch das Denkmal der Einfallslosigkeit und Funktionalität einer Welt symbolisiert, in der Algorithmen die Ideenfindung automatisieren. Da löst sich die Grenze zwischen Konsens und Konformität auf.
Emojis sind eine Fortsetzung der Blümchen, die in Poesiealben die i-Tüpfelchen ersetzten.
Womit man auch schon beim Gipfel der grafischen Entgleisung wäre. Da prangt statt Milton Glasers starkem Herz ein Emoji. Das sind jene Symbole, die in Textnachrichten mit ihrer Simulation von Dreidimensionalität Gefühlsregungen vortäuschen sollen. Emojis stammen aus der «Hello Kitty»-Welt des Internets für Teenager, sie sind eine Fortsetzung der Blümchen, die in Poesiealben die i-Tüpfelchen ersetzten.
New York ist aber kein Teenie. Wer das behauptet, muss sich zur Strafe 100 Mal hintereinander das «König der Löwen»-Musical ansehen und 100 Whisky Bacon Burger bei Applebee’s vertilgen. Für New Yorker wäre das ein Todesurteil.
Doch wer weiss, vielleicht war das alles ja genau so gemeint? Das letzte Mal, dass das Empire State Building rot angestrahlt war, feierte die Partei der Republikaner damit 2014 ihren Wahlsieg im Senat. Das allerdings wäre eine Verschwörungstheorie, und die gehört genauso wie Helvetica-Schriftzüge, Emojis und Inklusionsfloskeln ins Internet und nicht ins wirkliche Leben.
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Neues Logo für New York – Der Gipfel der grafischen Entgleisung
Die Metropole verändert ihr legendäres Markenzeichen, das millionenfach auf der ganzen Welt aufgegriffen und kopiert wurde. Es kommt nun mit Wir-Form, Helvetica-Schrift und Emoji daher. Geht gar nicht.