Analyse zur ergebnislosen DrogenbekämpfungDer ewige Krieg gegen die Drogenkartelle ist gescheitert
Razzien, die zum Massaker werden, volle Friedhöfe, volle Gefängnisse, gefährliche Fluchtrouten – und die Drogenmafia verdient weiter: Die Bilanz nach 50 Jahren «War on Drugs» ist verheerend. Die Welt ahnt längst, dass der Krieg eine Wende braucht.

Jeden Tag gibt es Nachrichten von der Front. Erschossene und Geköpfte in Mexiko, wo Zehntausende ermordet wurden oder verschwunden sind. Auftragskiller in Kolumbien. Brasilianische Polizisten, die eine Razzia in ein Massaker verwandeln. Ein philippinischer Präsident, der Dealer und Verdächtige jagen lässt und von internationaler Gerichtsbarkeit nichts wissen will. In Afghanistan gedeiht der Schlafmohn, Treibstoff der Taliban. Die Liste liesse sich lange fortschreiben.
Immer wieder geht es um Drogen, um den ewigen Krieg gegen die Sucht. Manchmal sind auch Triumphe dabei, jedenfalls klingen sie so. Im Hamburger Hafen wurden im Februar 16 Tonnen Kokain aus Südamerika beschlagnahmt, in Antwerpen sieben Tonnen – Marktwert Milliarden Euro, das Zeug wäre vor dem Verkauf ja noch gestreckt worden. Nur sind solche Funde genau genommen ebenfalls kein gutes Zeichen, denn wo viel erwischt wird, da kam in der Regel noch viel mehr unentdeckt durch. Fahnder sprechen von einer Kokainschwemme. Vereinzelte Verluste preisen die Schmuggler ein.
Im Juni 1971 rief US-Präsident Richard Nixon den «War on Drugs» aus.
Die Schlacht ist nicht zu gewinnen, dabei dauert sie schon so lange. Wer ihren Anfang sucht, der stösst auf den Juni 1971, damals erklärte US-Präsident Richard Nixon seinen «War on Drugs». Er ernannte den Drogenmissbrauch zum Staatsfeind Nummer eins und rief eine weltweite Offensive aus. Die Bilanz, 50 Jahre später: volle Friedhöfe, volle Gefängnisse, volle Flüchtlingsrouten, volle Container. Und volle Kassen der Drogenmafia.
Zahlen? Laut UN-Büro für Drogen- und Verbrechensbekämpfung haben im vergangenen Jahr geschätzt 275 Millionen Menschen Drogen genommen. Der Drogenhandel nahm zu, obwohl der Verkehr fast stillstand. Die Kokainproduktion hat sich von 2014 bis 2019 verdoppelt, auf 1784 Tonnen. Ein Gramm kostet in westlichen Grossstädten um die 65.75 Franken. Den Umsatz kann sich jeder ausrechnen.
Inhaftiert sind unbedeutende Strassenhändler
Dazu kommen Crack, Heroin, Crystal, Marihuana und so weiter. Mit dem Ertrag lässt sich fast alles kaufen. «Plata o plomo», das alte Motto. Geld oder Kugel. Das Geschäft mit Pillen, Pulver und Kraut nährt Rebellen, Milizen, Gangs, Terroristen. Die Gewinne korrumpieren Unternehmer, Politiker, Polizisten, Soldaten, Staatsanwälte, Richter, sie zersetzen Länder in Lateinamerika, Asien, Afrika und auch Europa. Die geheimen Milliarden blähen die Finanzindustrie auf, sie landen gewaschen in Firmen und Immobilien, weil statt der grossen Konten im Zweifel kleine Taschen durchforstet werden. In den Zellen sitzen Scharen unbedeutender Strassenhändler.
Das Desaster erinnert an die Prohibition, als der Alkohol verboten war, als verschoben wurde, gepanscht und gestorben. Die Erben eines Al Capone heissen Pablo Escobar, erschossen, oder Joaquín Guzmán alias El Chapo, der Kurze, er sitzt in einem US-Gefängnis. Sie waren Staatsfeinde Amerikas – und Milliardäre. Es spielt für die Branche keine besondere Rolle, ob ein Drogenbaron tot ist oder im Knast, ob ein Medellín-Kartell verschwindet oder ein Sinaloa-Kartell an Macht verliert. Andere übernehmen, die Hydra hat viele Köpfe. Der Begriff «Kartell» ist irreführend, es herrscht wilder Wettbewerb.

Und nun? Natürlich sind Drogen schädlich, wenn sie in nicht medizinisch hilfreichen Dosen konsumiert werden. Sie machen süchtig, sie kosten jedes Jahr Tausende Leben. Ein besonderes Desaster richtet derzeit das Opiat Fentanyl an. Ein Vollrausch ist allerdings auch nicht gesund, trotzdem kann jeder Volljährige im Supermarkt die Schnapsregale leerkaufen. Massenbesäufnisse sind Volksfeste.
Teilweise Legalisierung mindert die Margen des organisierten Verbrechens.
Fünf Jahrzehnte Verbot und Gemetzel haben die Drogen nicht gesünder gemacht, die sozialen Kosten sind katastrophal. Die milliardenschweren Kriegsausgaben wären besser in Beratung und Behandlung investiert, ausserdem müssten Geldflüsse und Waffenhandel viel entschiedener gebremst werden. Zwischen den USA und Mexiko oder Zentralamerika zum Beispiel gehen grob gesagt Kokain und Marihuana in den Norden, zurück kommen Scheine und Gewehre. Der Süden stellt die Toten und schickt die Migranten. In Kolumbien soll sogar wieder Pflanzengift auf Kokafeldern versprüht werden, statt Kokabauern alternative Einnahmen zu bieten. Wie Agent Orange und Vietnam, ein Irrsinn.
Legalize it? Bei Cannabis wird es vielerorts mit Erfolg probiert, obwohl auch Joints keine Vitaminspritzen sind. Bei härteren Drogen ist die Debatte komplizierter, doch sie muss geführt werden. Eine teilweise Legalisierung trocknet den Schwarzmarkt nicht aus, aber sie mindert die Margen des organisierten Verbrechens. Die regulierte Freigabe oder Straffreiheit entlastet die Justiz, die sich Festnahmen wegen ein paar Gramm ersparen kann. Auch ist Wildwuchs schlimmer als kontrollierter Drogenkonsum, komplett nüchtern wird die Menschheit kaum werden. Die Welt ahnt längst, dass der «War on Drugs» nach einem halben Jahrhundert eine Wende braucht.
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