Grosseinsatz gegen Drogenboss OtonielBei seiner Festnahme lächelte er in die Kamera der Soldaten
Wenige Tage nach der spektakulären Operation gegen Dairo Antonio Otoniel Usuga klingt die Freude in Kolumbien ab. Das Land rätselt nun über die Hintergründe des Coups gegen den Clan del Golfo.

Wenige Tage nach der Festnahme des Drogenbosses Dairo Antonio Otoniel Usuga klingt in Kolumbien die Freude langsam ab – und gleichzeitig mehren sich die Zweifel am Nutzen der Ergreifung ebenso wie an deren Umständen. Als vermutlicher Chef des Clan del Golfo war Otoniel wohl mitverantwortlich dafür, dass in den letzten Jahren Tonnen von Kokain aus Kolumbien in die USA geschmuggelt wurden.
Dazu soll der Kolumbianer auch Morde in Auftrag gegeben haben, an Entführungen beteiligt gewesen sein, ebenso wie am Missbrauch von Minderjährigen. Seit Jahren fahndeten die kolumbianischen Behörden nach dem Drogenboss. Doch trotz grossen Aufwands gelang es nicht, Otoniel zu schnappen.
Während andere Kartellchefs in Luxus und Villen lebten, versteckte sich Otoniel im Dschungel. Er ernährte sich angeblich unter anderem von dort erlegten Tieren und hatte Bodyguards, die mehrere Sicherheitsringe um ihn gezogen hatten. Nur mit grossem Aufwand war es nun möglich, Otoniel zu fassen: 500 Soldaten waren an der Aktion beteiligt, 22 Helikopter, 150 Polizisten.
Die Festnahme von Otoniel sei der grösste Erfolg, seit Pablo Escobar Mitte der 1990-er Jahre erschossen wurde, sagte Präsident Ivan Duque. Fotos des Verhafteten wurden stolz verbreitet. Diese allerdings zeigen keinen geschockten oder wütenden Mann, im Gegenteil: Otoniel lächelt in die Kamera.
Dies hat nun zu Spekulationen geführt, ob der Chef des Clan del Golfo wirklich in seinem Dschungelversteck aufgespürt wurde – oder ob er sich nicht doch den Behörden ergeben hat. Tatsächlich hatte Otoniel schon vor Jahren Angebote gemacht, seine Organisation aufzulösen. Damals hatte gerade der Friedensprozess mit linken Guerillaorganisationen in Kolumbien begonnen.

Otoniel wollte wohl diesen Wandel nutzen, vielleicht auch, weil er persönlich von Jahrzehnten des Kampfs und der Flucht zermürbt war: Bereits als Jugendlicher hatte er sich einer linken Guerilla angeschlossen, war dann zu rechten Paramilitärs gewechselt. Schliesslich war er in den Drogenhandel eingestiegen.
Otoniel soll an die USA ausgeliefert werden
Otoniel ist nun 50 Jahre alt, er soll ein Rückenleiden haben und selbst in Dschungelverstecken auf orthopädischen Matratzen geschlafen haben. Dazu war seine Macht in den letzten Jahren geschwunden. Vielleicht also, so die Mutmassungen, könnte sich der Drogenboss gestellt haben.
Dagegen spricht, dass die Regierung bereits angekündigt hat, Otoniel an die USA auszuliefern – ein Schicksal, wie es auch schon anderen Bossen zuteilgeworden ist, allen voran Joaquin «El Chapo» Guzman: Der Mexikaner wird wohl bis an sein Lebensende wegen Drogenschmuggels in einem Hochsicherheitstrakt in den Vereinigten Staaten sitzen.

Otoniel wird wohl alles versuchen, um das zu verhindern – und vielleicht könnte ihn das dazu bewegen, mit den kolumbianischen Behörden zusammenzuarbeiten und Aussagen zu machen über die Struktur seiner Organisation ebenso wie über Verbrechen, die er begangen hat. Für die Opfer in seiner Heimat und ihre Angehörigen wäre dies die Chance auf juristische Aufarbeitung. Wie weit allerdings selbst eine Mitarbeit Otoniels dazu beitragen würde, den Drogenhandel zu bekämpfen, ist zweifelhaft. (Lesen Sie zum Thema auch die Analyse «Der ewige Krieg gegen die Drogenkartelle ist gescheitert».)
Die Nachfrage nach Kokain weltweit ist ungebrochen, die Schmuggelrouten und Netzwerke des Clan del Golfo dürften auch nach der Festnahme ihres Chefs weiter intakt sein. Bei Experten gibt es darum kaum Zweifel, dass das Geschäft unvermindert weitergehen wird. Gleichzeitig besteht aber die Angst, dass nun ein blutiger Machtkampf ausbricht um seine Nachfolge.
Chiquito Malo ist neuer Boss des Clan del Golfo
Den grössten Nutzen aus der Verhaftung dürfte darum Kolumbiens Präsident haben: Ivan Duque ist ein rechter Hardliner, der trotz aller Bemühungen daran gescheitert ist, die Kokainproduktion einzudämmen. Gleichzeitig sinken seine Umfragewerte.
Auch darum feierte Duque die Festnahme Otoniels überbordend: «Das ist der schwerste Schlag gegen den organisierten Drogenhandel, den es in diesem Land in diesem Jahrhundert gegeben hat», sagte der Präsident und fügte kurz darauf hinzu, dass der nächste Drogenboss bereits auf der Fahndungsliste stehe: Jesus Avila Villadiego alias Chiquito Malo, ein enger Mitarbeiter von Otoniel und nun wohl dessen Nachfolger. «Die Botschaft ist klar: Entweder ihr ergebt euch – oder wir holen euch», sagte Kolumbiens Staatschef.
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