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Der bipolare Hockeyclub

Tiefpunkt: Diese Herren schämen sich, Fans der Edmonton Oilers zu sein.
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So grandios er scheiterte, so heimlich wurde er fortgeschickt. Am Dienstag in der zweiten Pause des Heimspiels gegen Detroit, die Oilers lagen 0:2 zurück, erfuhr Peter Chiarelli, dass seine Dienste als General Manager nicht mehr gebraucht werden. Man habe dem GM «die Chance geben wollen, das Gebäude ruhig zu verlassen», begründeten die Oilers, als zeuge das von Manieren. Dabei machte sich der Club, den ein ganzes Land zu hassen liebt, bloss einmal mehr zum Gespött. Erstaunlich, dass das noch möglich war.

Für die Wonne, mit der Kanadier das jüngste Scheitern Edmontons begleiten, gibt es durchaus sportliche Gründe. Einer heisst Wayne Gretzky. Dank des besten Spielers der Welt gewannen die Oilers in den 1980er-Jahren viermal den Stanley-Cup und damit ein Selbstverständnis, das an Arroganz grenzte und danach jahrzehntelangen Misserfolg unbeschadet überstand. Schlimmer: das sogar belohnt wurde. Denn immer wieder durften die Oilers als Lohn für schlechte Leistungen im Draft früh einen Spieler wählen. Und wurden doch nie besser.

Nur 11,5 Prozent Chancen – doch Unfähigkeit wird belohnt

Das Fass zum Überlaufen brachte 2015. Es war der Draft, als Connor McDavid zur Auswahl stand: nicht nur der begabteste Stürmer seines Jahrgangs, sondern ein Jahrzehnttalent, mindestens. Vergleiche mit Gretzky waren an der ­Tagesordnung. Die Oilers hatten nur 11,5 Prozent Chancen, in der Lotterie auf Rang 1 zu kommen.

Doch das Logo, das am Ende auf goldenem Papier strahlte, war ihres. Erneut führten Unfähigkeit und Arroganz zum Triumph. Dass der Club die Saisonkarten danach auf goldenem Papier verschickte, machte ihn ihm Rest des Landes nicht populärer.

Wer will, kann das Verhältnis der Kanadier zu Edmonton ausweiten. Denn der Name kommt nicht von ungefähr. In den 1940er-Jahren wurde in der Nähe der Stadt ein riesiges Ölfeld entdeckt, in den 1970er-Jahren verzehnfachte sich fast über Nacht der Ölpreis. Ganz Alberta boomte, wandelte sich von der bibeltreuen Provinz zur öl­geschmierten Lastergesellschaft, in der man das Geld bloss aus dem Teersand holen musste.

Mit dem Boom kamen die ­Oilers. 1972 gegründet, bestritt der Club acht Saison in der World Hockey Association, ehe er 1979 in die NHL aufgenommen wurde. Mit dabei: der 18-jährige Gretzky.

Es folgten die sportlich goldenen Jahre, doch wirtschaftlich ging es abwärts. Das Wachstum war zu schnell gegangen, dazu kam die weltweite Rezession. Auf einmal schlug das Pendel in die andere Richtung: Alberta war die Nummer 1 im Land bei Zwangsräumungen, Konkursmeldungen, Suizid.

Nur die Oilers waren weiterhin die Besten. Jedenfalls bis 1988.

Dann, es gab noch keine Salär­obergrenze, wollte sich der Clubbesitzer die eskalierenden Löhne seines Ensembles nicht mehr leisten. Er verkaufte Gretzky nach Los Angeles, und nach dem fünften Cup-Gewinn 1990 orientierten sich auch die kleineren Stars dorthin, wo das Geld war. Also weg aus Edmonton.

Wirtschaftlich ging es ein paar Jahre später wieder aufwärts. Ab 2000 stieg mit den Ölpreisen plötzlich auch der Optimismus wieder. Bei einem menschlichen Patienten würde man fast von einer bipolaren Störung sprechen. Und als 2008 ein 47-jähriger Pharma-Unternehmer für 170 Millionen Dollar die Oilers kaufte, schien alles wieder richtig gut zu werden. Daryl Katz, seit Kindertagen Oilers-Fan, versprach ein neues Stadion sowie die Rückkehr zu sportlichem Glanz.

Katz ist Milliardär, aber in seiner Kommunikation subtil wie ein Bulldozer. Als sich die Stadt weigerte, ihren Beitrag zum Bau der gewünschten Arena zu erhöhen, flog Katz nach Seattle, traf sich mit Politikern, die von einem NHL-Team träumen, und besuchte ein Football-Spiel – dem ganz zufällig auch Wayne Gretzky beiwohnte. In Edmonton brach ein Sturm der Entrüstung los. Katz entschuldigte sich per Brief. Und erhielt am Ende sein Stadion.

Immer langsamer, immer teurer, immer weniger Substanz

Kuriose PR blieb ein Markenzeichen. Als Katz 2015 Peter Chiarelli holte und im Jahr darauf Gretzky zum Miteigner machte, war das als Neuanfang gedacht. Nach acht Saisons ohne Playoff, dafür mit ständig wechselnden Trainern und Managern. So stand 2016 die neue Arena, war der lebensgrosse Bronze-Gretzky aufgehübscht worden und hatte Chiarelli sein Versprechen gehalten, das Team grösser und schwerer zu machen, indem er den 28-jährigen Milan Lucic holte. Für 42 Millionen Dollar über sieben Jahre.

Lucic war nicht die einzige Fehleinschätzung Chiarellis, schon gar nicht die spektakulärste. Im selben Sommer tauschte er den künftigen Liga-MVP Taylor Hall gegen einen keineswegs brillanten schwedischen Verteidiger. Zahllose weitere Deals folgten, meist nach demselben Muster: Beim Wunsch, McDavid mit mehr Härte zu umgeben, verloren die Oilers spielerische Substanz, wurden langsamer und teurer. Am Ende riecht Chiarellis Entlassung in der Drittelspause eher nach Verzweiflung denn nach Überzeugung.

PR-Video gegen einen, «der alles nur mit Technik macht»

Ob Edmontons Fall beim drittletzten Rang der Western Conference ein Ende findet, ist indes fraglich. Denn interimistischer Nachfolger ist ein alter Bekannter Chiarellis. Er war dessen Chef-Scout, als die Bruins den jungen Tyler Seguin abgaben, weil der «alles nur mit Technik macht», so Chiarelli, und nicht bereit sei, physisch «den Preis zu bezahlen», so der Scout.

Diese Sätze sind bekannt, weil die Bruins über das entscheidende Meeting ein PR-Video drehten. Und dann gibt es noch einen bei den Oilers, der den GM bestens kennt, seit Kindesbeinen sogar. Die beiden traten 1981 in einem TV-Spot auf, wo der eine im Oilers-Dress den Puck jongliert, während sein jüngerer Bruder erklärt: «Ich habe ihm alles beigebracht, was er weiss.» Ironie kann er also schon: Seit Mittwoch heisst Edmontons GM Keith Gretzky.