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Denkmalgeschützte Zürichsee-Villa zügelt 23 Meter weit

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Ein Trompetenstoss ertönt, aus einer Kanone fliegen rot-weisse Konfetti in die Luft. Was mit einem solchen Spektakel angekündigt wird, ist ein Züglete der ungewöhnlichen Sorte. Ein 1800 Tonnen schweres Haus zieht um. Die neue Adresse befindet sich 23 Meter weiter auf dem angrenzenden Grundstück.

Zahlreiche Medienvertreter und Schaulustige haben sich eingefunden, um das Ereignis zu beobachten. Im Mittelpunkt ihres Interesses steht die Villa Blumenthal, ein unscheinbares, weisses Haus mit Rissen in den Wänden, alten Sprossenfenstern und bröckelnden Sandsteinrahmen. Dicke Stahlseile verlaufen um das Haus und sichern die Struktur. Das Haus selbst steht auf einem Betonfundament und massiven Stahlträgern in Längs- und Querrichtung. Unter diesen befinden sich sieben Schienen, die seeabwärts in Richtung des neuen Standorts verlaufen. «Ob das Haus diesen Aufwand wert ist, weiss ich nicht», brummt Kaspar Wälti mit kritischem Blick. Als Besitzer des Grundstücks, neben das die Villa rückt, vermag er dem Umzug dennoch Gutes abzugewinnen: «Die Villa wird sich gut in das Ensemble der Kernzone einfügen.»

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Die Gebäude links und rechts der Villa (Mitte) sind bereits abgebrochen, die Villa wandert nach rechts, also Richtung Zürich.
Am Mittwochmorgen war es dann soweit: Die Villa Blumenthal wurde 23 Meter seeabwärts gezügelt.
Kurz nach 9 Uhr ging die Reise los: Die Verantwortlichen zogen symbolisch am Seil.

Langer Streit um Villa

Umgeben von fliegenden Konfettis ziehen drei Vertreter der Grundstücksbesitzerin, der Firma Osterwalder Immobilien Zürich AG, an einem Seil. Hinter der Villa, abseits der Show, steht ein Arbeiter vor einem grossen Schaltpult, drückt einen Knopf und setzt damit die zwei hydraulischen Pumpen in Gang. Millimeter um Millimeter beginnt sich die Villa vorwärtszubewegen – 3,5 Meter pro Stunde sind es zu Beginn. Neben dem Surren des Aggregats ist ein schmatzendes Geräusch zu hören. Jetzt hat der Verwaltungspräsident der Osterwalder Immobilien AG, Christian Muggli, seinen Auftritt. Dass er das Spektakel nutzt, um Werbung in eigener Sache zu machen, verzeiht man ihm, denn auf diesen Augenblick hat er lange gewartet: Zwölf Jahre ist es her, seit die Firma Osterwalder das Grundstück samt Villa, Garage und vorgelagerter Tankstelle erworben hat. Im Jahr 2010 stellte der Gemeinderat die Villa auf Antrag des Zürcher Heimatschutzes unter Denkmalschutz. Es folgte ein jahrelanger Rechtsstreit um die Schutzwürdigkeit.

2013 schliesslich entschied das Verwaltungsgericht, dass die alte Villa wirtschaftsgeschichtlich und baukünstlerisch bedeutsam und deshalb zu erhalten sei. Die Firma Osterwalder musste ihr Projekt zum wiederholten Mal revidieren. Inzwischen gehörte ihr auch das zürichseitige Grundstück nebenan. 2017 erhielt die Firma dann die Bewilligung der Gemeinde, die Villa zu verschieben, im Jahr darauf die Erlaubnis, auf dem freiwerdenden Grundstück an der Seestrasse 162 ein Mehrfamilienhaus mit sieben Wohnungen zu bauen. Den Verlust durch Planungen, Verfahren und fehlende Mietzinse beziffert die Firma auf über 1,5 Millionen Franken. 10,4 Millionen Franken investiert die Firma Osterwalder in das Projekt. 0,9 Millionen Franken entfallen auf die Verschiebung.

«Ich bin erleichtert, dass es endlich soweit ist und wir bald mit Bauen beginnen können», sagt Michael Doswald, Geschäftsführer der Firma Osterwalder. Für seine Firma bedeute die Verschiebung, dass Platz frei werde für das geplante Mehrfamilienhaus. Der Heimatschutz sei froh, dass die Villa erhalten bleibe und «für die Gemeinde ist es ein Gewinn, dass die Villa näher an die Kernzone zu liegen kommt». Während Doswald spricht, rückt hinter ihm langsam die Villa vor – ein irritierender Anblick. Auf einem der Stahlträger steht eine Flasche mit Wein, daneben auf einem weissen Tuch ein randvolles Glas. Kein Tropfen davon werde verschüttet, behauptet die Firma Iten AG aus Morgarten AG, die für die Verschiebung zuständig ist. Die Firma Osterwalder hält die Wette dagegen.

Beauftragte Firma gewinnt Wette

Immer wieder messen die Arbeiter mit dem Meter nach, ob die hydraulischen Pumpen die Villa gleichmässig vorwärtsschieben. Vor und im Haus befinden sich weitere Messgeräte. Über zehn Häuser hat Kurt Brülhart, Geschäftsführer der Iten AG, schon gezügelt. Jeder Umzug aber sei anders, sagt er, gemeinsam sei ihnen einzig die lange Planungsphase. Bereits im Januar dieses Jahres hat die Iten AG begonnen, der Villa ein Stahlkorsett anzulegen, Zugstangen zu montieren und das Haus mit einem horizontalen Schnitt vom Untergrund abzutrennen. Bei einer exklusiven Führung ins Innere des vorrückenden Hauses zeigt Brülhart dieser Zeitung, wie er die wertvollen vier Sandsteinsäulen im Gewölbekeller mit Stahlgerüsten ummantelt hat. «Diesen Gewölbekeller zu erhalten war eine Knacknuss, denn wir durften die Struktur wegen der Stabilität nicht zerstören», sagt Brülhart. Kreuz und quer verlaufen dicke Stahlträger durch das Gewölbe, dessen Putz bröckelt und hier und da den Blick auf die kleinen Backsteine freigibt, aus denen er aufgebaut ist. Endlich wird klar, woher das schmatzende Geräusch kommt: Ein Arbeiter ist ständig damit beschäftigt, die etwa zehn Zentimeter dicken Zylinder zu schmieren, auf denen das Haus vorwärtsrollt.

«Ich bin erleichtert, dass es endlich soweit ist und wir bald mit Bauen beginnen können.»

Michael Doswald, Geschäftsführer der Firma Osterwalder.

Die Arbeiten draussen schreiten gut voran: Nach zwei Stunden ist das Haus bereits zehn Meter gewandert. Brülhart aber will sich nicht zu früh freuen: «Es könnte immer noch ein Schlauch kaputtgehen, eine der hydraulischen Pumpen könnte aussetzen oder eine Rolle verklemmen.» Soweit aber kommt es nicht: Am frühen Nachmittag legen die Arbeiter Pause sein, um kurz vor 17 Uhr – des Showeffekts wegen – die letzten zwei Meter zurückzulegen. Die Villa ist angekommen. Und das Weinglas ist noch voll.