«Das würde man unter normalen Umständen nie machen»
Wie der Schweizer Höhlentauch-Instruktor Beat Müller die Rettung in Thailand einschätzt.
Verfolgen Sie die Rettungsaktion in Thailand?
Selbstverständlich. Als Ausbildungsorganisation sollte man am Puls des Geschehens sein und verfolgen, was geschieht und wie damit umgegangen wird. Zwei Kollegen vom britischen Rettungsteam, die eingeflogen wurden, kennen wir zudem seit Jahrzehnten. Das berührt uns natürlich.
Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?
Einerseits, dass man nicht alles glauben soll, was geschrieben wird. Ich habe etwas gelesen von einem Sauerstoffgehalt von 15 Prozent, würde das stimmen, wären längst alle bewusstlos. Mich beschäftigt auch die Frage, wie es so weit kommen konnte, dass eine Gruppe von Kindern und Jugendlichen vier Kilometer im Inneren eines Berges landet. Ich sehe es sehr kritisch, dass ein Erwachsener mit Kindern ein solches Abenteuer unternimmt. Das war alles andere als gut durchdacht. Natürlich war es trocken, als sie reingingen, aber in Thailand ist Regenzeit. Im Vorfeld einer solchen Wetterlage muss man vorsichtig sein.
Das ist also eine anspruchsvolle Höhlentour?
Ja. Die erfahrenen Taucher benötigten bis zu fünf Stunden, um dorthin zu gelangen, das ist also sehr weit. Man muss sich bewusst sein, wie viel Glück die Gruppe bis jetzt hatte, dass sie sich an eine höhergelegene Stelle flüchten konnte. In Höhlen kann das Wasserniveau in kurzer Zeit stark ansteigen. In der Siebenhengste-Hohgant-Höhle nördlich von Interlaken kann das Wasser bei Regen bis zu 30 Meter hoch klettern. Da läuft einem nicht einfach etwas Wasser in die Schuhe, man muss rennen und klettern. Die Gruppe hatte auch enormen Dusel, dass das Wasser bisher nicht weiter gestiegen ist.
Wie gefährlich ist die Rettung?
Es lauern jede Menge Gefahren. Einerseits ist die Sicht sehr eingeschränkt. Das macht es für die Rettungstaucher schwierig. Das Erste was man darum macht, ist eine Führungsleine reinzuziehen. Würde einer der Retter in eine falsche Abzweigung geraten, wäre das fatal. Da Regen angesagt ist, stehen die Retter auch unter Zeitdruck. Es besteht die Gefahr, dass bereits leergepumpte Teile der Höhle plötzlich wieder unter Wasser stehen und die Tauchstrecken länger werden.

Welche Schwierigkeiten gibt es in der Höhle?
In einem Höhlensystem geht es rauf und runter und um die Ecke. Ein Teil der Gänge ist jetzt mit Wasser gefüllt. Die Kleineren hat man ausgepumpt. Auf einer Skizze habe ich gesehen, dass einer der wassergefüllten Siphons zwischen 300 und 400 Meter lang ist. Unter normalen Umständen benötigt ein voll ausgerüsteter Höhlentaucher für eine solche Strecke 20 bis 40 Minuten (bei normaler Sicht). Mit den Kindern dürfte es ein Tauchgang von 40 bis 50 Minuten werden.
Was, wenn ein Kind in Panik gerät?
Kinder sind in der Regel weniger panikanfällig als Erwachsene, weil sie weniger über Gefahren nachdenken. Aber ja, es gilt die Maxime, zu verhindern, dass der zu Rettende in Panik gerät. Darum sind wohl auch jeweils zwei Taucher mit jedem Kind unterwegs. Einer geht voran und ist hauptsächlich für die Navigation zuständig, der zweite kümmert sich nur darum, dass das Kind mitschwimmt und nicht in Panik gerät. Es ginge möglicherweise auch mit einem Taucher pro Kind, das ist dann sehr anspruchsvoll.

Konnten die Taucher das mit den Kindern üben?
Die Höhlentauchausbildung dauert zwischen mehreren Monaten und mehreren Jahren. Diese Zeit hatte man hier nicht. Das Gute an der Geschichte ist, dass Kinder sehr wissbegierig sind und rasch lernen. Die Retter mussten den Kindern vor allem zwei Sachen beibringen: durch einen Lungenautomaten regelmässig zu atmen und das Mundstück unter Wasser niemals rauszunehmen. Als Zweites, was man tut, wenn einem Wasser in die Maske läuft. Das geht auch mit einem Crashkurs. Aus dem Tauchunterricht weiss ich, dass das Kindern oft weniger Probleme bereitet als vielen Erwachsenen.
Es hiess, man habe den Kindern Beruhigungsmittel gegeben.
Das würde man unter normalen Umständen natürlich nie machen, da so die Handlungsfähigkeit eingeschränkt wird. Da die Kinder aber begleitet werden, hat man wohl zu diesem Mittel gegriffen. Das Kind muss ja nicht handeln, sondern einfach einem Retter folgen und vertrauen, dass es rauskommt. Für etwas anderes fehlt einfach die Zeit.
Wie bereitet man eine solche Rettung vor?
Unter Umständen gibt es einen Plan der Höhle, sodass man ungefähr weiss, was wo ist. Dann mussten die ersten Taucher, die reingingen, erkunden, wie tief und wie lang die Siphons sind, die man durchtauchen muss, wo Trockenstellen sind und Flaschendepots angelegt werden können und wo man eventuell «Relais-Stellen» einrichten kann. Der Einsatz ist mit viel Logistik verbunden, man braucht Pumpen, Trockenstationen und nicht zuletzt gut ausgebildete Rettungstaucher. Man kann nicht jeden reinschicken. Es gibt weltweit nur sehr wenige, die von der Distanz und Tiefe her solche Rettungen machen können.
Die gleichen Taucher holen nach den ersten vier Buben auch die nächste Gruppe aus der Höhle. Würden Sie das auch so machen?
Auf jeden Fall. Diese Leute wissen jetzt, wo es langgeht, sie kennen die Strecke, die kritischen Stellen, die Tiefe der überfluteten Gänge und die Sicht. Ausserdem haben die Kinder, die noch warten, sie schon einmal gesehen. Da ist ein bekanntes Gesicht, das ihnen signalisiert, ihren Kollegen geht es gut, das schafft eine Vertrauensbasis.
Video: Was bisher geschah
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