Das war es noch lange nicht von Sky
Die Briten gewinnen zum 6. Mal in 7 Jahren die Tour. Zu glauben, ihre Dominanz käme langsam zu einem Ende, wäre ein Irrtum.
Vielleicht genoss Chris Froome den Moment sogar. Am frühen Samstagabend sass er in einer Ecke der lokalen Pelota-Halle von Cambo-les-Bains zwischen allen Journalisten dieser Tour – und keiner interessierte sich für ihn. Es war das erste Mal in den vergangenen fünf Jahren, dass sich an der Tour de France einen Moment lang nicht alles um Froome drehte. Er überbrückte die Wartezeit, indem er auf seinem Telefon herumtippte. Nach Geraint Thomas wäre er dran, dieser gab zehn Meter weiter drüben seine Siegerpressekonferenz.
Mit zwei Leadern ging das Team Sky in diese Tour de France. Mit Rang 1 und 3 verabschiedet es sich heute in Paris. Während die Prognose dieses Resultats vor drei Wochen niemanden überrascht hätte, tun es die Platzierungen der beiden Leader sehr wohl. Geraint Thomas, der Reservemann, steht erstmals zuoberst, Chris Froome, der das grösste Rennen der Welt seit 2013 dominiert und vier Mal gewonnen hat, musste am Samstag noch einmal alle Kräfte mobilisieren, um sich wenigstens den dritten Platz zu sichern.
Geprägt von der Arbeiterklasse
Die vielleicht spannendste Facette von Sieger Thomas ist jene, dass er den Erfolg nicht suchte, sondern sich dieser eher als Folge seines konsequenten Weges einstellte. Thomas ist Waliser, wuchs in der Nähe von Cardiff auf. Die Region ist geprägt von ihrer Arbeiterklasse, dieses Ethos hat Thomas geprägt, nun eines von Wales' berühmtesten Gesichtern. Thomas war zwar schon immer talentiert, hatte aber nie das Ego, um kompromisslos eine grössere Rolle einzufordern, wie das etwa Froome Ende 2012 getan hatte.
Thomas war zufrieden mit sich und der Welt, wenn er mit den «Lads», den Kumpels, wie er seine Sky-Teamkollegen nennt, im Juli durch Frankreich brausen und am Ende zusammen mit Freund Froome in Paris dessen Tour-Siege feiern konnte. Gestern Abend war da keine Abweichung, nur dass die Rollen umgekehrt waren. Froome, auch wenn viele zynische Stimmen ihm diese Grossmütigkeit absprechen, freute sich aufrichtig mit seinem langjährigen Edelhelfer.
Das Kompliment des Tour-Favoriten
In den Alpen, als Thomas zwei Bergetappen in Folge und vor allem in Alpe d'Huez gewann (als erster Tour-Leader – Armstrong ausgeklammert – und als erster Brite), wurde klar, dass er der stärkste Fahrer im Rennen war, dass er dieses nur mehr verlieren würde, sollte ihn eine grössere Schwäche überkommen. Doch die kam nie. Was nicht hiess, dass Froome aufgab. Er reihte sich zwar ein in die Reihe der Sky-Helfer, schrieb die Tour für sich aber nie ab. Auch nicht, als er in den Pyrenäen erneut abgehängt wurde. «Ich glaubte bis heute daran, dass alles möglich ist», sagte er am Samstagabend. «Das ist Radrennsport, es gibt immer 1000 Szenarien.» Dann fügte er an: «Aber ich unterstützte ‹G› natürlich gerne. Der stärkste Fahrer gewann diese Tour de France.»
Der Einblick in Froomes Gedankenwelt zeigt auch, wie er es schaffte, nach dem harten Freitag, als er am Col d'Aubisque grosse Mühe gehabt hatte, sich den Podestplatz zurückzuholen. Niemand hätte es verwundert, wenn er als Gesamtvierter die Tour beendet hätte. In seinem Palmarès werden Ehrenplätze nicht einmal mehr aufgezählt. Doch das Zeitfahren, in dem er gar den Tagessieg nur um eine Sekunde verpasste, zeigte, wie hungrig Froome weiterhin ist.
Ein Luxusdilemma
Froome mochte sich die vergangenen Wochen ausnahmsweise damit begnügen, zweite Geige zu spielen. Weil er selber einsah, dass Thomas stärker war. Und weil er im Mai ja immerhin schon den Giro d'Italia gewonnen hatte. Aber er wird sehr wohl darauf pochen, künftig wieder als unbestrittener Sky-Leader zu Grand Tours zu starten, zur Tour de France ganz besonders, wo ihn weiterhin ein Erfolg von den Rekordsiegern trennt.
Das bringt die Teamleitung von Sky um David Brailsford in ein Luxusdilemma. Zuerst müssen sie sich mit der Frage befassen, ob der Tour-Sieger weiterbeschäftigt werden soll – sein Vertrag läuft aus. Im Frühling sagte Thomas noch zu dieser Zeitung, er sei einem Wechsel nicht abgeneigt, wenn er ins neue Team passe. «Das Ding mit Sky ist: Ich fühle mich wohl, ich kann hier mein Bestes abrufen», sagte er. Das gilt nach seinem Tour-Sieg noch stärker.
Neue Ziele vor Augen
Womit Brailsford 2019 den Interessen von drei Leadern mit Siegambitionen Rechnung tragen muss. Denn neben Thomas und Froome ist da auch noch Egan Bernal, den der Teamchef bereits öffentlich zu Skys nächstem Grand-Tour-Sieger ausgerufen hat. Der Kolumbianer ist zwar erst 21. Doch in den Anstiegen dieser Tour fuhr er nie wie der jüngste Fahrer im Rennen. Sondern wie der Edelhelfer, den auch Froome (für Bradley Wiggins) und Thomas (für Froome) vor ihren Aufstiegen gegeben hatten. Zum – unfairen – Vergleich: Thomas war bei seiner ersten Teilnahme 2007 ebenfalls 21 und jüngster Fahrer gewesen. Das Rennen beendete er, damals noch hauptsächlich Bahnfahrer und deshalb einige Kilogramm schwerer, auf dem zweitletzten Platz.
Die nächste Machtablösung hat noch Zeit. Der Vertrag von Froome (33) läuft noch zwei Jahre. Und Thomas (32) ist alles andere als am Ende seines Weges. Die Rückkehr ins zweite Glied? Für einen Tour-Sieger kaum eine Option. Bereits im Frühling sagte er: «Die Jahre auf der Bahn bremsten meine Entwicklung. Ich fühle mich darum noch nicht so ausgelaugt wie andere, die seit zehn Jahren von Januar bis Oktober ihren Körper ans Limit bringen. Ich habe immer noch neue Ziele.» Die Sky-Ära, sie ist weit davon entfernt, bald zu Ende zu gehen.
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