
So plakativ hatten die Landeskirchen noch nie Stellung zu einer Abstimmungsvorlage bezogen. An Gotteshäusern und Kirchtürmen hingen riesige Banner für die Konzernverantwortungsinitiative (KVI). Die Kirchen verhielten sich wie eine politische Partei oder ein Interessenverband, ja waren selbst Teil des Initiativkomitees.
Diese Parteinahme führte zu heftigen Reaktionen innerhalb der Kirchen und bei den Gegnern der KVI. Beim Bundesgericht gingen Beschwerden ein, weil die Kirchen als steuerfinanzierte öffentlich-rechtliche Körperschaften in unzulässiger Weise in den Abstimmungskampf eingegriffen hätten.
Das Bundesgericht macht es sich zu einfach.
Die Beschwerdeführer, darunter die Jungfreisinnigen, hofften, dass das Bundesgericht der Einmischung der Kirchen ins politische Tagesgeschäft für künftige Fälle einen Riegel schiebt. Doch das Bundesgericht drückt sich um ein Urteil mit der Begründung, die Initiative sei abgelehnt und damit eine Intervention gegen ein allenfalls unzulässiges Engagement der Kirchen obsolet.
Das Bundesgericht macht es sich mit dieser Begründung zu einfach. Denn es hätte trotzdem auf die Beschwerden eintreten können, falls sich die aufgeworfenen grundsätzlichen Fragen wieder stellen könnten, wie das Bundesgericht selbst schreibt.
Ähnliche Fälle sind tatsächlich denkbar. So engagieren sich die Kirchen immer öfter auch umweltpolitisch. Gut möglich, dass sie bald aktiv Klimapolitik betreiben, weil es um den Erhalt der Schöpfung geht. Konflikte sind programmiert. Wirtschaftskreise würden einwenden, dass die Kirchen mit Steuergeldern, die unter anderem von Unternehmen stammen, gegen deren Interessen agieren.
Es ist bedauerlich, dass das Bundesgericht in einer demokratiepolitisch so wichtigen Frage keine Stellung bezieht. Auf folgende Fragen hätte man gern eine Antwort: Dürfen sich die steuerfinanzierten Landeskirchen aktiv an Abstimmungskämpfen beteiligen, sich gar als Initianten betätigen? Steht dem ihr öffentlich-rechtlicher Status entgegen, genauso wie auch der Bundesrat oder Kantonsregierungen keinen Abstimmungskampf betreiben dürfen? Oder berechtigt die Rolle als quasi staatlich legitimierte Moralinstanz mit dem Evangelium in der Hand zu einem solchen Engagement?
Die Kampagne der Kirchen erweckte den Eindruck, dass es für gute Christinnen und Christen nur eine richtige Antwort auf dem Stimmzettel geben kann.
Eine Klärung wäre auch im Interesse der Kirchen gewesen. Das Engagement für die KVI mag einem Teil ihrer Mitglieder gefallen haben. Einen anderen Teil, der ebenfalls Kirchensteuern zahlt, hat es vor den Kopf gestossen. Denn die Kampagne der Kirchen erweckte den Eindruck, dass es für gute Christinnen und Christen nur eine richtige Antwort auf dem Stimmzettel geben kann. Dabei konnte jemand – selbst wenn er das Ziel der Initiative unterstützte – zum Schluss kommen, dass diese das falsche Instrument zur Erreichung des Ziels sei.
Zumindest eines macht das Bundesgericht klar. Bei einem nächsten ähnlichen kirchlichen Abstimmungskampf wird es die Frage grundsätzlich klären, sollte ein Abstimmungsresultat den Beschwerdeführern nicht passen. Dabei geht es nicht um die Frage, ob die Kirchen Argumente für oder gegen eine Vorlage vorbringen dürfen. Natürlich sollen sie sich für Menschenrechte, soziale Gerechtigkeit oder den Erhalt der Lebensgrundlagen einsetzen und Missstände anprangern. Und das nicht nur generell-abstrakt, sondern auch konkret. Aber ob sie gleich Abstimmungsparolen an der Kirchenmauer anbringen müssen, sollten sie sich im eigenen Interesse bereits jetzt gut überlegen.
Markus Brotschi ist Bundeshausredaktor von Tamedia, Schwerpunkt seiner Berichterstattung ist die Sozial- und Gesundheitspolitik. Er arbeitet seit 1994 als Journalist und Redaktor.
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Analyse zum Polit-Engagement der Kirchen – Das Bundesgericht drückt sich um ein Urteil
Der kirchliche Grosseinsatz für die Konzernverantwortungsinitiative wirft demokratiepolitische Fragen auf, die das Bundesgericht klären sollte. Das ist auch im Interesse der Kirchen.