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Meinung

Analyse zum Vorwurf der Vertuschung
China ist schuld daran, dass man nicht weiss, woher das Coronavirus stammt – nicht Deutschland

Angela Merkel und Olaf Scholz mit Corona-Masken bei einer Plenarsitzung im Deutschen Bundestag in Berlin zur Debatte über das Infektionsschutzgesetz.
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In Kürze:
  • Medien berichten über BND-Informationen zum Ursprung des Coronavirus.
  • Die Regierung hielt geheime Daten über den Virusursprung fünf Jahre zurück.
  • Forscher und Virologen bleiben skeptisch gegenüber der Laborthese des BND.

Menschen, die Verschwörungen mögen oder glauben, der Staat verbringe die Zeit damit, ihnen die Wahrheit zu verbergen, sind gerade wieder sehr erregt. 18-monatige Recherchen von «Süddeutscher Zeitung» (SZ) und «Zeit» haben enthüllt, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) seit 2020 glaubt, das Coronavirus entstamme nicht der Natur, sondern einem chinesischen Labor.

BND-Agenten hätten geheime Daten und Studien aus dem Labor in Wuhan sichergestellt, die mit «80 bis 95 Prozent» Sicherheit diesen Schluss zuliessen, so «Zeit» und SZ. Zwei deutsche Regierungen, die von Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD), hätten an der These jedoch gezweifelt und sie deswegen fünf Jahre lang unter Verschluss gehalten. Bis Medien sie nun publik machten.

Seither rätselt die deutsche Öffentlichkeit, was mit dieser Enthüllung anzufangen ist. Wollte die Regierung die Bevölkerung über den wahren Ursprung des Virus täuschen? Suchte Deutschland Streit mit China zu vermeiden, einem wichtigen Exportmarkt? Und wenn die Regierung an der These zweifelte: Warum stellte sie die Erkenntnisse ihres Geheimdienstes nicht einfach ins Internet, damit sich das Publikum selbst eine Meinung bilden kann? Warum wird alles, was mit Corona zu tun hat, so politisiert?

US-Präsident Trump sprach vom «chinesischen Virus»

Politisiert war die Frage, woher das neuartige Coronavirus stammt, von allem Anfang an. China, das Land, in dem die Pandemie ausgebrochen war, schottete sich ab und hielt fast alle Informationen zurück. Der Amerikaner Donald Trump behauptete schon im April 2020, am Ende seiner ersten Präsidentschaft, die Herkunft des Erregers aus einem chinesischen Labor sei so gut wie sicher. Er nannte es nur noch «chinesisches Virus», um China, seinem erklärten geopolitischen Hauptgegner, zu schaden, und liess die Geheimdienste anweisen, nach Beweisen zu suchen.

China wiederum wehrte sich gegen den «politisch motivierten Angriff» und verschloss sich noch mehr. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stand dem Machtspiel ohnmächtig gegenüber. Als sie ein Jahr nach Ausbruch endlich eigene Fachleute nach Wuhan schicken konnte, fanden die nicht viel Neues. Dass das Virus einem Labor entsprungen sei, hielt die WHO aber für unwahrscheinlich.

Virologe Christian Drosten spricht auf der lit.Cologne Spezial, einem internationalen Literaturfestival.

Die meisten Spitzenvirologinnen und -virologen neigen bislang zur These, dass Sars-CoV-2 natürlichen Ursprungs sei. Eine Laborpanne sei zwar möglich, aber weniger wahrscheinlich. Wissenschaftliche Beweise gibt es bisher, fünf Jahre nach Ausbruch der Pandemie, weder für die eine noch für die andere These. Der Hauptgrund ist, dass China alles dafür tut, dass es so bleibt.

Dieser Umstand macht auch deutsche Forscher wie Christian Drosten zunehmend skeptisch. Sicher sei, so der bekannte Berliner Virologe, dass China Klarheit schaffen könnte, wenn es wollte – auch wenn die Naturthese zuträfe. «Verbietet die Staatsräson, dass daran gearbeitet wird? Mag sein», sagte Drosten im Januar der «Tageszeitung». «Die andere Erklärung wäre aber, dass da gar kein natürliches Virus war.»

Die US-Geheimdienste, die seit 2023 neue Erkenntnisse zum Ursprung des Virus in Grundzügen öffentlich machen müssen, sind sich uneins, welche These zutrifft. Stichhaltige Beweise fehlen auch ihnen. Sowohl die Regierung von Angela Merkel als auch die von Olaf Scholz nahmen die Überzeugung ihres eigenen Geheimdienstes jedenfalls mit Skepsis auf. Der BND gilt als nicht sehr leistungsfähig und hat sich in der Vergangenheit häufig geirrt. Warum sollte er ausgerechnet in dieser brisanten Angelegenheit mehr wissen als die CIA?

Deutsche Regierungen trauten dem BND nicht

Laut SZ und «Zeit» scheute die deutsche Regierung eine Veröffentlichung, weil sie der Schlussfolgerung des BND nicht traute und Angst hatte, sich international zu blamieren. Rücksprachen des Kanzleramts mit Joe Bidens US-Regierung legten ebenfalls Zurückhaltung nahe. Pläne, die BND-Informationen von unabhängigen Experten wie Drosten vertraulich prüfen zu lassen, versandeten. Zu einer solchen Evaluation kommt es nun erst seit Weihnachten – vermutlich seit BND und Regierung wissen, dass SZ und «Zeit» über den Sachverhalt informieren würden.

Ob die deutsche Regierung der Öffentlichkeit entscheidende Erkenntnisse zum Ursprung des Coronavirus vorenthalten hat, lässt sich anhand der veröffentlichten Recherche nicht beurteilen. Über die Indizien, aufgrund derer der BND seine Schlüsse zieht, verliert sie nämlich kein Wort. Nach Ansicht der Regierung steckt im Dossier des Geheimdienstes aber keinerlei Beweis für die Laborthese – und auch kein Beleg, der sich, bildlich gesprochen, vor Gericht verteidigen liesse.

Gewiss wäre es besser gewesen, ein Gremium von unabhängigen Fachleuten hätte sich früher über die Informationen des Geheimdienstes gebeugt und geurteilt, ob diese die spektakuläre Schlussfolgerung rechtfertigen – allen Bedenken über einen möglichen Bruch der Geheimhaltung zum Trotz. Aus der Skepsis der Regierung und ihrem Verzicht auf eine Veröffentlichung ein politisches Vertuschungskomplott zu konstruieren, geht aber zu weit.