Carlos wütete und musste auf dem Boden schlafen
Keine Matratze, nur Wasser und Brot: Carlos erhob schwere Vorwürfe gegen die Justiz. Heute räumte Jacqueline Fehr Fehler ein. Carlos aber war auch extrem gewalttätig und renitent.

Die Vorwürfe waren happig. Der Verteidiger des 21-jährigen Straftäters mit Pseudonym Carlos schilderte dem Gericht beim letzten Prozess am 6. März 2017 ausführlich, wie sein Mandant in der Untersuchungshaft in Pfäffikon behandelt worden sei.
Er habe in einer unbeheizten Zelle ohne Matratze auf dem Boden schlafen müssen. Tagelang habe er nicht einmal eine Decke erhalten. Als Verpflegung gab es dreimal täglich Wasser und Brot, bekleidet war Carlos bloss mit einem langen Hemd. Unterwäsche gab es keine. Duschen durfte er nicht, in den Spazierhof auch nicht. «Das ist absolut entwürdigend», sagte der Verteidiger.
Carlos: «Es war Folter»
Carlos selbst sprach von Folter. Dem rigiden Regime sei er während einer und danach ein zweites Mal während dreier Wochen unterworfen gewesen. Grund für die Behandlung waren offenbar Streitereien. Im ersten Fall, so schilderte es Carlos selbst, habe er einen anderen Häftling angespuckt, der ihm ins Essen gespuckt habe. Im zweiten Fall geriet Carlos nach eigenen Angaben mit dem Gefängnisdirektor aneinander: «Da wollte er mir zeigen, wie die harte Tour funktioniert.»
Diesen Schilderungen steht ein Führungsbericht gegenüber, aus dem der Richter am Prozess zitierte. Carlos' Drohungen und Beschimpfungen gegenüber dem Personal in den Bezirksgefängnissen habe «jedes bekannte und tolerierbare Mass überschritten».
Administrativuntersuchung
Die Justizdirektion wollte sich bisher nicht zu den Vorwürfen äussern. Regierungsrätin Jacqueline Fehr (SP) hatte bereits vor dem Prozess den ehemaligen Staatsanwalt Ulrich Weder mit einer Administrativuntersuchung beauftragt.
Nun liegen die Resultate vor. Kurz gesagt: Die Vorwürfe stimmen zumeist, aber Carlos hat sich sich derart gewalttätig und renitent verhalten, dass die Aufseher und der Gefängnisdirektor überfordert waren. Letzterer wechselt nun den Job. Ulrich Weder sieht keine Verletzung der Menschenrechtskonvention.
Zu den Details:
Carlos wurde am 6. Januar vom Gefängnis Winterthur nach Pfäffikon verlegt, wo er schon zuvor gewesen war. In Pfäffikon blieb er bis zum 26. Januar, danach kam er in die Pöschwies. Zuvor war er im Gefängnis Zürich und im Gefängnis Limmattal gewesen. Er war überall untragbar gewesen.
Carlos war in Einzelhaft. Das war laut Weder richtig, denn er war in Sicherheitshaft. Zudem hatte er sich entsprechend verhalten.
Auch das eingeschränkte Besuchsrecht war gerechtfertigt.
Dass Carlos nur Essen zwischen Brotscheiben erhielt, war okay, da er immer wieder das Geschirr zerstört hatte oder es dazu benutzt hatte, um das WC zu verstopfen.
Carlos hat tatsächlich keine Matratze erhalten. Er musste auf dem Boden schlafen, und zwar nach mehreren Vorfällen ab dem 14. Januar. Das geht nicht.
Carlos war ab dem 14. Januar nur mit einem Poncho bekleidet und hatte keine Unterwäsche an. Auch dies kritisierte Weder.
Er hatte immer eine Fussfessel an. Das ist nicht erlaubt.
Er duschte nie. Das darf nicht sein. Allerdings hätte er aufgrund der baulichen Bedingungen begleitet werden müssen, was unmöglich war.
Er durfte nicht auf den Hofgang. Auch das wäre nur begleitet möglich gewesen.
Weder sagte, Carlos sei «objektiv diskriminierend und erniedrigend» behandelt worden. Trotzdem sei weder die Europäische Menschenrechtskonvention noch die Schweizer Bundesverfassung gebrochen worden, und zwar aus zwei Gründen: Erstens fehlte den Aufsehern die Absicht dazu. Sie hätten immer gehofft, dass Carlos sein Verhalten ändere, damit die Haftbedingungen wieder gelockert werden könnten. Zweitens seien diese Massnahmen das Resultat von Sicherheitsüberlegungen von überforderten Aufsehern im Umgang mit einem «beschimpfenden, drohenden, renitenten, aggressiven und gewalttätigen» Carlos gewesen.
Gefängnis Pfäffikon nicht geeignet
Auch langjährige Mitarbeiter des Gefängnisses hätten so etwas noch nie gesehen, sagte Weder. Carlos habe Todesdrohungen ausgesprochen, die Essklappe, WC und Lüftungsgitter verstopft. Es waren mehrere Polizeieinsätze nötig. Das mag die Haftbedingungen zwar nicht zu rechtfertigen, fand Weder, aber doch zu erklären.
Er kam zu folgenden Schlüssen: Falls Gefangene wie Carlos ins Gefängnis Pfäffikon kommen sollen, braucht es mehr und besser ausgerüstetes Personal. Zudem sind bauliche Massnahmen nötig - etwa damit Gefangene duschen können, ohne auf Gefängnispersonal angewiesen zu sein. Und es braucht ein Betriebskonzept, damit alle Aufseher wissen, wie sie sich bei solchen Extremsituationen verhalten sollen.
Gefängnisleiter muss gehen
Jacqueline Fehr stellte fest, dass Fehler gemacht wurden. Der schlimmste sei gewesen, dass Carlos während fast zwei Wochen keine Matratze hatte. Der Gefängnisleiter, der die Stelle Anfang Januar angetreten hatte, war überfordert und konnte die Mitarbeiter des Gefängnisses Pfäffikon nicht genügend unterstützen, so Fehr. Er wird ersetzt. Er wolle eine neue Herausforderung annehmen, sagte sie. Die Trennung sei im gegenseitigen Einvernehmen erfolgt.
Fehr liess durchblicken, dass das Amt für Justizvollzug die Situation falsch eingeschätzt habe und den Rat des Hauptabteilungsleiters Untersuchungsgefängnisse – nämlich Carlos nach Pfäffikon zu schaffen – zu wenig kritisch hinterfragt habe.
Carlos hat Aufseher spitalreif geprügelt
Carlos befindet sich jetzt nicht mehr in der Strafanstalt Pöschwies, sondern wurde in die psychiatrische Klinik Rheinau überwiesen. Der 21-Jährige wurde im März zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. Er hatte einem etwas jüngeren Bekannten einen heftigen Kinnhaken verpasst. Letzte Woche ist Carlos wieder ins Gerede gekommen, weil er einen Pöschwies-Aufseher spitalreif geschlagen haben soll.
Dies wurde heute erstmals von Fehr bestätigt. Sieben Aufseher waren involviert, einer musste zur Behandlung ins Unispital gebracht werden. Der Aufseher ist bereits aus dem Spital entlassen worden, es gehe ihm gut, sagte sie. Carlos wird sich wegen Gewalt gegen Behörden und Sachbeschädigung verantworten müssen.