Prozess wegen FreiheitsberaubungPsychiater von Carlos freigesprochen
Schon wieder stand der junge Straftäter im Zentrum einer Gerichtsverhandlung. Dieses Mal aber nicht als Täter, sondern als mutmassliches Opfer seiner Psychiater.

In der langen Geschichte des jungen Straftäters Carlos ist am Mittwoch ein weiteres Kapitel dazugekommen: Drei Psychiater standen vor dem Zürcher Bezirksgericht, weil sie im Jahr 2011 den damals 15-Jährigen ganze 13 Tage lang festgebunden haben sollen.
Der Staatsanwalt übte an den drei beschuldigten Psychiatern harsche Kritik. Die 13 Tage dauernde Fixierung sei unverhältnismässig gewesen. Sie hätten ihn von Beginn an als Monster betrachtet.
Das Verhalten von Carlos solle keineswegs schöngeredet werden, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer. Aber hier sei er für einmal nicht Täter, sondern Opfer. Carlos sei in der Psychiatrischen Universitätsklinik behandelt worden wie Hannibal Lecter im Film «Schweigen der Lämmer». «Das war eine Misshandlung, die durch nichts zu rechtfertigen ist.»
Richtlinien missachtet?
Die Psychiater hätten zudem die eigenen Richtlinien missachtet. Eine Fixierung mit Gurten müsse auf wenige Stunden beschränkt und jede Stunde überprüft werden. Diese Vorgaben seien ignoriert worden.
Auch der Rechtsschutz sei ausgehebelt worden, weil Carlos nicht über seine rechtlichen Mittel informiert worden sei, so der Staatsanwalt weiter. Wer eine Zwangsmassnahme wie etwa eine solche 7-Punkte-Fixation erleiden muss, kann innert zehn Tagen einen richterlichen Beschluss dazu verlangen.
Für den Direktverantwortlichen, den leitenden Arzt, verlangte der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe von 14 Monaten bedingt wegen Freiheitsberaubung. Für die beiden anderen Beschuldigten, darunter den Klinikleiter, forderte er bedingte Geldstrafen wegen Gehilfenschaft zu Freiheitsberaubung.
Staatsanwaltschaft «verlauerte» den Fall
Der Anwalt von Carlos wiederum kritisierte die Staatsanwaltschaft, weil diese den Fall «verlauert» habe. Die Ermittlungen seien zuerst eingestellt und dann so zögerlich verfolgt worden, dass ein Teil der Vorwürfe bereits verjährt sei.
Die drei Psychiater wurden ursprünglich auch noch wegen Körperverletzung angezeigt, weil sie Carlos Medikamente in zu hoher Dosis verabreicht haben sollen. Einige Produkte, die Carlos erhielt, seien für Jugendliche zudem verboten. Dieser Vorwurf ist nun aber wegen der Verjährung nicht Teil der Anklage.
Die Ärzte hätten Carlos von Beginn an als unzähmbares Monster angesehen, sagte sein Anwalt. «Dabei war er ein Jugendlicher, der offensichtlich mit sich und der Umwelt Probleme hatte.»
Er brauchte Hilfe beim Treppensteigen
Seinen 16. Geburtstag verbrachte Carlos festgebunden auf einem Bett. Die lange Zeit in Bewegungslosigkeit führte dazu, dass der junge Straftäter kurzzeitig sogar im Rollstuhl transportiert werden musste und Hilfe beim Treppensteigen brauchte.
Die drei Psychiater betonten in ihrer Befragung jedoch, dass es keine Alternative zur Fixierung gegeben habe. Carlos in ein Isolationszimmer zu bringen, sei nicht möglich gewesen, da er suizidal gewesen sei, sagten die drei Beschuldigten übereinstimmend.
Ein Isolationszimmer habe zwar möglichst wenig Ecken und Kanten, doch auch dort könnten sich Patienten etwas antun, etwa indem sie den Kopf gegen die Wand schlagen würden.
Grundsätzlich sei Carlos in der Psychiatrischen Universitätsklinik am falschen Ort gewesen, da diese für die Sicherung von forensischen Patienten nicht geeignet sei. Sie hätten sich darum bemüht, Carlos in die Klinik Rheinau verlegen zu können, doch dort habe es erst nach 13 Tagen einen Platz gegeben.
Die drei Psychiater sagten zudem übereinstimmend aus, dass Carlos hochgradig gefährlich und unberechenbar gewesen sei. Das Klinik-Team habe wirklich alles getan, was möglich gewesen sei.
Carlos sass im Nebenraum
Der mittlerweile 24-jährige Wiederholungstäter verfolgte den Prozess per Videoübertragung in einem Nebenraum mit. Dafür war er von der Strafanstalt Pöschwies in Regensdorf nach Zürich transportiert worden. Zufrieden sein kann er mit dem Verlauf der Verhandlung aber nicht. Denn das Bezirksgericht sprach die drei Psychiater vom Vorwurf der Freiheitsberaubung frei. Das Gericht beurteile die Zwangsfixierung von Carlos in den konkreten aussergewöhnlichen Umständen mit massiver Fremd- und Selbstgefährdung als verhältnismässig, schrieb das Bezirksgericht am Mittwoch in einer Mitteilung.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann noch ans Ober- und ans Bundesgericht weitergezogen werden.
SDA
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