
In den Herbstferien wanderten wir zur Burgruine Tschanüff im Unterengadin. Sie liegt auf einem vorgelagerten Bergsporn und beeindruckt durch Lage und Grösse. Jeder Autofahrer sieht die hohen Mauern, wenn er zwischen Martina und Scuol unterwegs ist. Die Burg ist aus dem 12. Jahrhundert, sie wurde immer wieder angegriffen und teilweise zerstört, bis sie dann zerfiel.
Ich kam ins Nachdenken, gibt es doch auch in unserer Gegend einige Burgruinen. Wozu dienten Burgen? Sie wurden als Zufluchtsorte errichtet und sollten Sicherheit und Schutz bieten. In der Reformierten Kirche Oberrieden befindet sich über der Kanzel in der Stuckatur die Abbildung einer Burgruine. Neben ihr wächst neues Grün. Aus, neben oder in Burgen kann also auch Neues entstehen – wie zum Beispiel auf der Wartburg bei Eisenach. Hier wurde Martin Luther aus Sicherheitsgründen versteckt. Luther nutzte die Zeit und übersetzte das Neue Testament aus dem Urtext in verständliches Deutsch, damit alle die Bibel lesen können. Ähnliches machten die Zürcher Pfarrpersonen. So können Menschen bis heute Gott durch die Bibel selbst kennen lernen.
Das Beschäftigen mit der Bibel ist ein Weg, um Gott zu entdecken und so Gottes Wirken im eigenen Leben wahrzunehmen. Gott kann unter anderem für mich zur Burg werden, die mir immer wieder Zuflucht, Sicherheit und Schutz bietet. Im 31. Psalm betet jemand: «Mein Fels und meine Burg bist du, um deines Namens willen leite und führe mich.» Hier ist Gott nicht nur Rückzugsort. Er ist auch eine Kraft, die hilft, mich nach vorn auszurichten. Gott soll leiten und mich führen, soll anregen und mir helfen. Mit dieser Erwartung sich Zeit mit Gott nehmen, ermöglicht, Energie zu empfangen, die mich den Alltag gut durchdacht angehen lässt. In diesen schwierigen und uns alle stark belastenden Wochen und Monaten haben wir viele Menschen, die uns helfen und anleiten wollen, die uns Sicherheit und Schutz anbieten. Gott wird uns immer wieder durch solche Menschen ansprechen. Hoffentlich macht Gott sich auch anders in unserem Leben bemerkbar. Eines ist aber sicher: Gott ist eine Energiequelle, eine Burg, die für uns da ist, um die kommenden Herausforderungen zu bewältigen.

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Tribüne – Burgruinen inspirieren
Eine Kolumne von Berthold W. Haerter, Pfarrer in Oberrieden.