Analyse: Das Endspiel für eine Generation
Nur mit einem Sieg können die Schweizer beweisen, dass sie so gut sind, wie sie selbst denken.

In Rostow steht das Stadion gleich am Don. Hier trotzten die Schweizer zur Eröffnung Brasilien ein Unentschieden ab. In Kaliningrad ist es in einem Sumpfgebiet hochgezogen worden. Hier widerstanden sie allen Gefahren und gewannen gegen Serbien 2:1.
In Nischni Nowgorod steht der Prachtsbau für die Fussballer an der Wolga. Hier konnten sich die Schweizer fast ein wenig zu Hause fühlen, weil ihre Basis ebenfalls an der Wolga liegt, sie beschlossen die Vorrunde mit dem 2:2 gegen Costa Rica.
Jetzt sind sie in St. Petersburg gelandet, in der Stadt von Putin und des monumentalen Glanzes. Das Stadion für die Weltmeisterschaft hat 800, 900 oder vielleicht auch 1000 Millionen Euro gekostet, so genau weiss das keiner. Wieder steht es an einem besonderen Ort, diesmal direkt am Finnischen Meerbusen, so streng bewacht und abgeriegelt, als würde es Putin selbst gehören.
Hier entscheidet sich heute Nachmittag, was weiter mit den Schweizern an diesem Turnier passiert. Fliegen sie weiter oder nach Hause? Es ist ein Spiel um «do or die», um alles oder nichts, um die Frage, die das Bild einer Generation definiert: Wie gut ist sie wirklich?
Enttäuschung als Antrieb
Zum dritten Mal steht sie innerhalb von vier Jahren in einem Achtelfinal, nach der WM 2014 und der EM 2016. Das ist eine höchst ehrenwerte Leistung und die Ausbeute begrenzter personeller Ressourcen. Aber die Enttäuschung über die Art, wie sie an den letzten beiden Turnieren ausgeschieden sind, wirkt bei den Spielern nach. Das kann ein entscheidender Antrieb sein, es heute endlich besser zu machen – endlich diesen nächsten Schritt zu tun, von dem sie schon lange reden.
Darum brauchen sie diesen Sieg gegen Schweden, egal, wie, ob nach 90 Minuten oder dem Elfmeterschiessen, egal, ob mit Glück oder überzeugend. Sie brauchen ihn, um Russland irgendwann mit dem Gefühl verlassen zu können, Gewinner zu sein.
Natürlich gehen sie mit der Überzeugung an die Aufgabe heran, dafür gut genug zu sein. Sonst könnten sie gleich den Rückflug antreten. Vielleicht aber haben sie aus ihrer Stimmungslage vor sechs Tagen gegen Costa Rica gelernt. Damals waren sie von sich selbst so sehr überzeugt, sie hatten so viel Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, dass sie die schmale Grenze zur Überheblichkeit überschritten. Valon Behrami gab denn auch zu, dass sie «ein wenig arrogant» gewesen seien.
In keinem Match bewegten sich alle elf auf ihrem besten Niveau.
Das ist ein wertvoller Hinweis, wie es heute nicht geht. Es ist ohnehin wichtig, aus allen drei Gruppenspielen zu lernen. Denn perfekt war keines, immer gab es Schwächen, kollektive, individuelle, schon in den ersten beiden. Gegen Brasilien geriet die Mannschaft nach guten ersten Minuten von der Rolle. Gegen Serbien war sie am Anfang vom Gegner und den Emotionen überfordert, die dieses Spiel so sehr bestimmten. In keinem Match bewegten sich alle elf auf ihrem besten Niveau. Nie war es eine Schweiz, die in Perfektion agierte.
Sommer als Vorbild
Wären alle auf dem Niveau, auf dem sich Yann Sommer in der Gruppenphase bewegte, könnte es keine Frage zum Ausgang des Achtelfinals geben. Sommer war dreimal überragend, auf den Punkt bereit. Gerade Schlüsselspieler wie Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri haben in dieser Beziehung Nachholbedarf. Wie sie gegen Serbien auftraten, muss ihr eigener Massstab sein, wenn die Schweiz in St. Petersburg bestehen will.
Behrami sagte nach dem Match gegen Costa Rica: «Wir müssen wachsen. Wir müssen lernen, das Spiel zu lesen. Das macht den Unterschied zwischen einer grossen Mannschaft und einer Mannschaft, die gross sein will.» Der Satz sagt: Die Schweizer haben noch immer einiges an Arbeit vor sich, um die zu sein, die sie sein wollen. Hungrig sind sie, ja, ambitioniert, angriffig, aber eben nicht gross.
Schweden ist kein übermächtiger Gegner. Es lebt auf exemplarische Art vor, was mit Zusammenhalt erreichbar ist. Dennoch wird es zutage fördern, ob die Schweizer dem Druck gewachsen sind, den Erwartungen, den Hoffnungen. Sie sind mental, körperlich und spielerisch gleichermassen gefordert. Es ist auch ein Zeichen von Professionalität, ob sie es diesmal schaffen, schon von Beginn an bereit zu sein.
Vladimir Petkovic sagt im Regen von St. Petersburg: «Das muss man 1000-mal betonen: Wir sind mit dem Achtelfinal nicht zufrieden.» Es ist Versprechen und Kampfansage zugleich.
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