«Alle hören zu, wenn sie etwas sagt»
Hinter Englands WM-Höhenflug steckt ein Geheimnis. Eine Frau hilft Gareth Southgates Boygroup, damit diese mental nicht versagt.
Hinter jedem erfolgreichen Mann steckt eine starke Frau, sagt der Volksmund. An der Fussball-WM in Russland entspricht diese These durchaus der Realität. Das unerfahrene englische Team hat einen weiblichen Trumpf in der Hand, von dem kaum jemand spricht: Doktor Pippa Grange.
Die 47-jährige Engländerin gehört seit dem vergangenen November zum Staff von Nationaltrainer Gareth Southgate an und betreut die Spieler psychologisch. Southgate hat die Frau mit der Aufgabe betraut, die Spieler im Kopf weiter zu entwickeln und die psychische Belastbarkeit seiner Boys zu erhöhen, vor allem im Hinblick auf bedeutende Spiele – «eine Charaktereigenschaft, die das Nationalteam in Jahrzehnten vermissen liess», wie es die «Daily Mail» kommentiert.
Der Druck ist immens
Dass eine Frau im Spitzensport Männer mental fördert, ist nach wie vor ungewohnt. Southgates Entscheidung, die Spezialistin an Bord zu holen, habe sich als «Meisterleistung» erwiesen, findet die «Daily Mail». Der überraschende Einzug der Three Lions in den Halbfinal sowie das erste gewonnene Penaltyschiessen an einer WM beweise dies, stellt die britische Zeitung fest.
Video: England feiert
Der Personalchef hat zwar eine entspannte Atmosphäre im Nationalteam aufgebaut, dennoch sind seine Spieler dem grossen Druck im Duell gegen die Kroaten ausgeliefert. Die Erwartungen, dass es England schafft, erstmals seit der Heim-WM 1966 wieder um den Titel zu kämpfen, sind in der Heimat hoch. Der Druck der Medien auf die Profis ist gewaltig, auch wenn niemand auf der Insel den Gegner unterschätzt. Umso bedeutender, dass dem Nationaltrainer eine Fachkraft hilft, dass die Fussballer nicht mit schlotternden Knien auf den grünen Rasen laufen.
Das Lob der Spieler
Die fachliche Kompetenz von Grange wird nicht zuletzt von Englands Spielern hoch geschätzt. Der 22-jährige Mittelfeldspieler Dele Alli von Tottenham Hotspur äusserst sich voller Bewunderung: «Sie hat viel mit uns gearbeitet, sie ist eine grossartige Person. Man spürt, wie intensiv sie sich mit uns auseinander setzt. Sie weiss wirklich, wovon sie spricht, und hat uns in vielen Sitzungen enorm geholfen.» Alli fügt etwas hinzu, was Millionen von Frauen auf dieser Erde von ihren Partnern wünschen: «Alle hören zu, wenn sie etwas sagt.»
Der erfahrene Defensivspieler Ashley Young (32) von Manchester United ist ebenfalls des Lobes voll. «Jeder spricht mit ihr anders. Sie ist fantastisch, wenn sie Zeit mit dem Team verbringt. Ich erachte ihre Arbeit mit uns als grossen Vorteil», sagt Young der «Daily Mail». Der Profi vergisst auch die anderen Mitglieder im Umfeld der Three Lions nicht. «Alle machen einen grossartigen Job.» Allein diese Aussage beweist, wie ausgeprägt der Teamgeist bei den kompakten Engländern ist.
Eric Dier (24) glaubt, dass der Einfluss der Psychologin schon in den letzten sechs Monaten vor der Endrunde sehr gross gewesen sei. «Sie hat ebenfalls dafür gesorgt, dass wir bisher so stabil aufgetreten sind», erklärt der Club- und Mittelfeldkollege von Alli.
Erfahrungen mit den harten Kerlen Down under
Für Grange selbst ist die Aufgabe, Sportler mental zu betreuen, nicht neu. Die Engländerin lebte lange in Australien und hat sowohl mit dem australischen Schwimm-Team als auch mit den harten Kerlen des Australischen Footballs zusammen gearbeitet. In einem Zeitungsinterview vor acht Jahren sagte sie über die rauflustigen Typen des australischen Rugbys: «Es sind Männer, einfach Männer. Und ich respektiere sie. Aber natürlich gab es Zeiten, da musste ich meine Augen verdrehen. Es gibt so viele Charakteren unter ihnen, bessere und schlechtere. Aber wer will schon einen langweiligen Job haben?»
Die Psychologin hält sich am Turnier in Russland wohl bewusst im Hintergrund. Als sie vom Englischen Fussballverband FA engagiert wurde, erklärte sie, wie begeistert sie über ihre neue Aufgabe bei einer modernen und zukunftsorientierten Organisation sei. Die Frau spricht lieber mit den Spielern als mit den Journalisten.
Sollte Southgates junge Mannschaft tatsächlich den Final erreichen und dort Frankreich bezwingen, dann hätte auch eine Frau einen grossen Anteil am zweiten WM-Titel des Mutterlands im Fussball. Und keinen Mann in England würde dieser Fakt stören, die Nationalspieler schon gar nicht.
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