Erfolgreich in der Krise32-jährige Zürcherin erfindet die Personalvermittlung neu
Claudia Bolliger sucht mit ihrer Firma Lionstep weltweit nach den besten Fachleuten. In diesem Jahr hat sie den Umsatz verdreifacht – und setzt die grossen Headhunter unter Druck.

Von Agilität sprechen derzeit viele Firmenchefs, doch wenige verkörpern das Gebot der Stunde so gut wie die junge Zürcher Unternehmerin Claudia Bolliger. Sie mischt seit drei Jahren den Markt der Personalvermittlung auf und setzt damit eine Reihe etablierter Unternehmen unter Druck: globale Vermittler wie Adecco, Netzwerke wie Xing, aber auch spezialisierte Personalbüros, die Fach- und Führungskräfte vermitteln oder Entlassene im Outplacement bei der Neuorientierung unterstützen.
Von langer Hand geplant war die Sache nicht. Sie sei durch einen glücklichen Zufall zum Thema gekommen, erzählt die 32-Jährige in ihrem Büro im Zürcher Seefeld. Beinahe wäre sie nach dem Volkswirtschaftsstudium bei der Post gelandet, weil sie in ihrer Masterarbeit das Poststellennetz einer Effizienzanalyse unterzogen und damit die Geschäftsleitung beeindruckt hatte. Doch ein Manager warnte sie: «Tun Sie das nicht – Ihre Energie würde hier verpuffen.»
Drei Kandidaten für 3000 Franken
Tatsächlich habe sie Unternehmerblut in ihren Adern, sagt Claudia Bolliger. So verdiente sie sich ihre ersten Sporen ab, als sie nach einer Bangkok-Reise mit einer guten Freundin ins Geschäft mit Online-Masskleidung einstieg und «dabei mindestens so viel lernte wie in den Uni-Vorlesungen».
Dann kam ihr Studienkollege José Parra Moyano, ein Data-Science-Spezialist mit spanischen Wurzeln, auf sie zu. Eine Bekannte von ihm war Personalchefin beim spanischen Telecomunternehmen Telefonica und kämpfte dort wegen der Finanzkrise und hohen Jugendarbeitslosigkeit mit 800 und mehr Bewerbungen pro ausgeschriebener Stelle. Sie fragte Parra Moyano, ob er einen Algorithmus entwickeln könne, der es erlaube, aus all den Dossiers die besten Kandidaten herauszufiltern.

Bolliger und Parra Moyano reisten nach Madrid, entwickelten im Rahmen eines Beratungsmandats eine Software und erkannten in der Zusammenarbeit mit der Telefonica-Managerin, dass die automatische Identifikation der besten Bewerbungen zwar funktionierte. Aber etwas war viel wichtiger: die automatisierte Suche nach weltweit gefragten Spezialisten wie zum Beispiel Java-Entwicklern.
2017 gründeten die beiden ihre eigene Personalberatung Lionstep. Ein Jahr später schlossen sich Bolliger und Parra Moyano mit dem HR-Start-up Tao zusammen, das darauf spezialisiert war, grosse Datenmengen zu verarbeiten und Talente über Social-Media-Bots anzusprechen. Während die Konkurrenz noch immer klassische Stellenprofile publiziere, Lebensläufe im PDF-Format herumschicke, Kandidaten in Excel-Dateien aufliste und bei einer Vermittlung eine Kommission von 15 bis 25 Prozent des Jahreslohns kassiere, arbeite Lionstep schneller, günstiger und transparenter, sagt Bolliger.
Wir bringen den Unternehmen bei, dass sie nicht einfach eine Stelle ausschreiben, sondern sich als attraktive Arbeitgeber präsentieren.
Schon für knapp 3000 Franken erhalte ein Unternehmen einen Vorschlag mit drei valablen Kandidaten, «und zwar markant schneller als bei der Konkurrenz». Dabei berücksichtigt Lionstep nicht nur Kandidaten, die in der eigenen Datenbank erfasst sind, sondern spricht global Berufsleute an, die geeignet und womöglich wechselbereit sind – inklusive zielgruppenspezifischer Werbung auf Instagram, Facebook oder Google.
«Wir bringen den Unternehmen bei, dass sie nicht einfach eine Stelle ausschreiben, sondern sich als attraktive Arbeitgeber präsentieren», sagt Bolliger. Zu diesem Zweck macht Lionstep für jeden offenen Job eine eigene Website. Wer sich interessiert, verabredet sich zu einem halbstündigen Onlinegespräch mit einem der Lionstep-Vermittler. Der suchende Arbeitgeber erhält am Ende nicht nur ein Dossier mit den besten Kandidaten, sondern auch detaillierte Angaben, wie oft die Stelle angeschaut worden ist und wie die Kandidaten das Image des Arbeitgebers bewerteten.
Schon im letzten Jahr schrieb Lionstep schwarze Zahlen, 2020 wird sich der Umsatz gegenüber dem Vorjahr verdreifachen und im mittleren siebenstelligen Bereich bewegen. Aktuell beschäftigt Lionstep 40 Angestellte und vermittelt Fach- und Führungskräfte für Kunden in Europa, Asien und ab 2021 auch in den USA.
Post, Adidas und Mobiliar als Kunden
Speziell Softwareentwickler seien sehr gesucht, sagt Bolliger; oft finde man in der Schweiz keine geeigneten Profile. Die Suche werde deshalb auch auf Länder wie Rumänien, Polen, Spanien oder Portugal ausgeweitet. Gefragt sind aufgrund der Verlagerung vieler Arbeitsplätze ins Homeoffice auch Spezialisten für Informationssicherheit sowie Onlinemarketing und -verkauf. Grosse Unternehmen wie Post, Adidas oder Mobiliar, die mehrere Hundert Stellen pro Jahr zu besetzen haben, nutzen die Lionstep-Dienstleistung ebenso wie Start-ups und KMU.
Zehn Jahre bei derselben Firma – das ist vorbei. Deshalb hat sie 2019 noch vor der ersten Entlassungswelle in der Finanzbranche ein Projekt lanciert, das Bankern und anderen Berufsleuten ermöglicht, in einer anderen Branche oder bei einem Start-up probeweise zu arbeiten – mit dem Ziel, später eine Festanstellung zu erhalten. Mit der Universität St. Gallen will Bolliger ein Wiedereinstiegsprogramm für Mütter oder Berufsleute lancieren, die wegen Krankheit pausiert haben. «Es ist wichtig, dass wir nicht nur Fachkräfte im Ausland rekrutieren, sondern auch in die Qualifizierung und Umschulung hier in der Schweiz investieren», sagt Bolliger. Das sei finanziell weniger attraktiv als die Vermittlung, volkswirtschaftlich aber mindestens ebenso wichtig.
* Mathias Morgenthaler war Wirtschaftsredaktor bei Tamedia und ist heute als Autor, Coach
und Referent tätig. Er ist Autor der Bestseller «Aussteigen – Umsteigen» und «Out of the
Box» und Betreiber des Portals www.beruf-berufung.ch
Fehler gefunden?Jetzt melden.