Social Distancing bei Pilgerfahrt1000 Auserwählte dürfen nach Mekka
Eigentlich pilgern 2,5 Millionen Muslime aus aller Welt zum Hadsch. Aber dieses Jahr ist durch Corona an den heiligen Stätten in Mekka alles anders.

Jedes Jahr organisiert das saudische Hadsch-Ministerium ein Grossereignis: die Pilgerfahrt für 2,5 Millionen Muslime aus aller Welt. Kurz vor Beginn des Hadsch lädt das Ministerium Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen zum jährlichen Symposium ein, diesmal zum ersten Mal virtuell. Diesmal sprechen die Gäste des Symposiums über die Hygienevorschriften wegen Corona und ihre wissenschaftliche Anwendung in der prophetischen Praxis. Sie berufen sich auf den Propheten Mohammed, der in Zeiten einer Seuche auf die strikte Trennung zwischen gesunden und infizierten Personen bestanden haben soll.
Das saudische Königshaus loben die meisten Redner mit blumigen Worten («die Welt lernt am saudischen Beispiel»), denn es hat im Zuge der Corona-Krise – zum ersten Mal in der Moderne – den Hadsch in seiner eigentlichen Form abgesagt. Mutig und weise, nennt etwa Professor Asif Ahmed aus Grossbritannien die Entscheidung aus Riad und schickt noch Genesungswünsche an König Salman hinterher, der vergangene Woche wegen einer Entzündung an der Gallenblase ins Krankenhaus gebracht wurde.
Nicht nur ein Hadsch für Saudis
In diesem Jahr wird es nur einen Mini-Hadsch für etwa 1000 Pilger geben. Sie alle müssen in Saudiarabien leben, dürfen nicht älter als 65 Jahre sein und keine chronischen Krankheiten haben. Anfangs gab es Befürchtungen, dass nur saudische Staatsbürger den Hadsch vollziehen dürfen. Um diesem Eindruck entgegenzuwirken, veröffentichte das saudische Zentrum für internationale Kommunikation Zitate von Pilgern aus Kenia, Georgien oder dem Libanon, die sich dankbar zeigen, zu den Auserwählten zu gehören.
Laut offiziellen Angaben sollen 70 Prozent der Pilger ausländische Gastarbeiter in Saudiarabien sein, die sich online registrieren konnten. Die restlichen 30 Prozent sind Einheimische. Der Hadsch 2020 hat am Mittwoch begonnen, und er dauert bis am kommenden Montag.

Es war vor allem die Angst vor einer zweiten Corona-Welle, die zu einer abgespeckten Version der grossen Pilgerfahrt führte. Das 33-Millionen-Einwohner-Land kämpfte zuletzt mit strengen Ausgangssperren gegen steigende Infektionszahlen. Mehr als 260’000 Menschen haben sich angesteckt, und mehr als 2600 Menschen sind an dem Virus gestorben.
Dass nur eine Mini-Pilgerfahrt stattfinden kann, ist wirtschaftlich ein echtes Desaster für das Königreich: Die elf Milliarden Euro Einnahmen hätte das Land gut gebrauchen können. Erst setzte der Ölpreisverfall der Wirtschaft zu, dann die Corona-Krise. Der Hadsch war bislang eine zuverlässige Einnahmequelle, denn er gehört zu den fünf Säulen des Islam. Jeder fromme Muslim, der gesund ist und es sich leisten kann, sollte einmal im Leben nach Mekka pilgern.
Die Pilger dürfen die schwarzen Steine der Kaaba nicht berühren, und sie müssen regelmässig ihre Körpertemperatur messen lassen.
In normalen Zeiten wäre die gigantische Logistikmaschine des Hadsch bereits in Gang: Die saudischen Behörden würden Millionen Menschen in langen, weissen Gewändern am König-Abdel-Aziz-Flughafen der Hafenstadt Jidda empfangen, die sie mit Tausenden Bussen in das etwa siebzig Kilometer entfernte Mekka bringen, wo die Pilger in Luxushotels mit Blick auf die Kaaba oder aber in einfachen Zelten übernachten.
Muslime aus aller Welt, vereint in Saudiarabien, unter dem wachsamen Blick des Königshauses: Für den saudischen Kronprinzen Muhammad bin Salman und dessen greisen Vater Salman sind diese Tage gewöhnlich der Grund, warum sie sich in der islamischen Welt mit dem Titel «Hüter der Heiligen Stätten» schmücken. Die eindrücklichen Livebilder des Tawaf, wenn Millionen Pilger gegen den Uhrzeigersinn die Kaaba in Mekka umkreisen, dicht gedrängt, Tag und Nacht, werden in die Wohnzimmer von Muslimen in aller Welt gesendet.

Es sind Bilder, die die Regierung in Riad politisch gerade gut gebrauchen könnte. Stattdessen trumpft der ideologisch ferne, weil den Muslimbrüdern nahestehende türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit Bildern aus Istanbul auf: Am vergangenen Freitag inszenierte er sich in der zur Moschee umgewandelten Hagia Sophia als Führer der islamischen Welt, umgeben von Hunderttausenden Gläubigen.
Aus Mekka wird es in diesem Jahr andere Bilder geben. Offizielle Videoaufnahmen der letzten Tage zeigten die Vorbereitungen: Heerscharen von Arbeitern in blauen Overalls rückten an, um den parfümierten, weissen Marmorboden rund um die Kaaba zu desinfizieren.
Wegen Corona gelten strenge Verhaltensregeln. Die Pilger müssen den Abstand von 1,50 Metern einhalten, und in den Bussen muss jeder zweite Platz frei bleiben. Sie dürfen die schwarzen Steine der Kaaba nicht berühren, und sie müssen regelmässig ihre Körpertemperatur messen lassen. Sogar die schwarzen Steine, mit denen die Pilger in Mina symbolisch den Teufel steinigen, sollen vorher desinfiziert werden. Dort kam es in den vergangenen Jahren zu Massenpaniken mit Hunderten Toten. Das wird in diesem Jahr wohl nicht passieren.
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